Startseite » Kulturwerkstatt – Neues Leben in alten Räumen

Kulturwerkstatt – Neues Leben in alten Räumen

Ob Dorfladen oder Kulturwerkstatt – das Kaufhaus Jacobs war und ist ein Ort der Begegnung
Von Katja Schupp

„Mamaaaa? Bist Du die Chefin von der Kulturwerkstatt?“ – Wenn meine Kinder mich das fragen, nach einer Veranstaltung oder einem vertelefonierten Vormittag, dann muss ich immer schmunzeln und sage, glücklich und entspannt: „Nein, ich bin nicht die Chefin, die Kulturwerkstatt hat auch gar keine. Ich hatte nur die Idee.“
Vielleicht war es beim Spielen mit den Kindern, vielleicht war es bei einem Waldspaziergang, vielleicht auf einer der vielen Fahrten nach Mainz, zur Musikschule, zum Kindertheater – irgendwann war sie da, diese Idee von der Kulturwerkstatt. Nur dass sie damals noch nicht „Kulturwerkstatt“ hieß, sondern „BiB – Bildung im Bergwerk“. Die alten Gebäude auf der Amalienhöhe, so dachte ich, müssten doch Platz bieten für ein kulturelles Abenteuer für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, einen Ort der Begegnung. Es gab eine erste Besichtigung, einen Mietpreisvorschlag … und schon bald war klar: Räume anzumieten konnte keinesfalls der erste Schritt sein. Wer sollte das bezahlen? Dafür mussten wir erst einmal einen Verein gründen, das gelang im März 2011. Dann mussten wir Mitglieder anwerben. Und Kurse ausdenken. Und Kursleiter finden. Und Teilnehmer finden. Und Räume für die Kurse und die Teilnehmer finden. Und und und … Damit waren wir wenigen der ersten Stunde vollauf beschäftigt.
Die ersten Kurse fanden überall statt: In Räumen der Schule, in der Rattener Stube, in der Keltenhalle. Es war toll zu sehen, was alles möglich war.
Und doch: Gerade die Räume waren und blieben das Problem.
Kein Sägestaub, wenn Computer in der Nähe sind.
Keine Flüssigfarben, wenn Parkettboden im Spiel ist.
Keine Kurse in der Schule, wenn Ferien sind – keine Kurse in der Keltenhalle, wenn Karneval ist.
Alles verständlich – und doch unpraktisch für unsere Idee.
Es war Juli 2013 und auf dem Weg zum Kindergarten fuhr ich – zum fünf-, sechshundersten, zum tausendsten Mal? – an diesem Dornröschen vorbei: Das alte Kaufhaus Jacobs an der Ecke Provinzialstraße/Ernst-Esch-Straße, die Fensterläden heruntergelassen, wie geschlossene Augen, schlummernd gardezu. Was mochte sich dahinter verbergen, wie sah es aus da drin, wer wohnte da jetzt überhaupt?
Der Morgen, an dem ich klingelte, unterschied sich durch nichts von den anderen, und doch änderte er alles: Gabriele Pamperin, die das Haus gemeinsam mit ihrem Bruder Thomas Gawehn gekauft hat, öffnete, ließ mich hinein, zeigte mir das alte Ladengeschäft. Trotz Baumaterialien, Fensterläden, die zu lange geschlossen waren, um sich noch öffnen zu lassen – es war um mich geschehen.
Allen Beteiligten war wohl relativ schnell klar: Das hier konnte etwas wirklich Besonderes werden! Gabriele Pamperin und Thomas Gawehn gelang es, die Renovierungsarbeiten sehr viel schneller durchzuführen, als sie das eigentlich geplant hatten – ein unglaublicher Kraftakt, auch finanziell. Denn viele Auflagen galt es zu erfüllen bei diesem Haus, das aus gutem Grund unter Denkmalschutz steht. Es dauerte nicht einmal ein Jahr und schon am 10. Mai 2014 war es soweit: Das ehemalige Kaufhaus Jacobs erwachte aus seinem Dornröschen-Schlaf, schaute mit wunderschönen, neuen Fenstern wieder in die Welt und öffnete seine Türen als Zuhause für die Kulturwerkstatt.
Die Eröffnung – mit afrikanischen Trommeln, Kaffee, Kuchen, Kinderschminken und Spielen – war wie ein rauschendes Fest, trotz schlechtem Wetter. Von diesem Tag an hatte meine Idee ein Zuhause, bekam Wurzeln und begann zu wachsen. Plötzlich waren da neue Mitglieder, Interessierte kamen herein, wann immer geöffnet war, manche nur neugierig, andere mit dem Wunsch, tatkräftig dabei zu sein. Und genau das war das Entscheidende: Um ein solches Haus mit Leben zu füllen, braucht es Menschen, die bereit sind, nicht nur einen Mitgliedsbeitrag, sondern vor allem Zeit, Ideen und Arbeitskraft zu investieren. Es brauchte ein paar Monate, aber mit dem neuen Zuhause kamen diese Menschen. Diejenigen, die anpacken, Regale zusammenbauen, Vorhänge aufhängen und Baumärkte abklappern, andere, die einfach nur eine Idee haben oder im richtigen Moment „Halt, Vorsicht!“ rufen. Schon bald waren es nicht mehr sieben Gründungsmitglieder, sondern 17, 20, 25 neue Mitglieder, die sich einbrachten jeder auf seine eigene Weise, mit kleinen und größeren Beiträgen.
Hatten wir in den ersten Monaten noch viel Leerlauf, so ist inzwischen jeden Tag was los in der Kulturwerkstatt: Montags Ballett, dienstags Kinder-Kunst-Werkstatt, mittwochs Leseclub, donnerstags Hip-Hop und Filmklasse, freitags ein Kurs aus dem Programm Zirkuswelten, Comic-Zeichnen und Spieleabende für Jugendliche, samstags Kunst-Café für Familien … Knapp einhundertfünfzig Kinder und Jugendliche kommen jede Woche in die Angebote der Kulturwerkstatt, viele davon in das ehemalige Kaufhaus Jacobs. Und zwar zu Fuß. Trauerte ich den einst besichtigten, aber nicht finanzierbaren Räumen im Bergwerk lange nach, so war das vorbei, als das Kaufhaus Jacobs ins Spiel kam. Denn ein Ort der Begegnung kann nur ein Ort sein, der auch erreichbar ist, am besten zu Fuß, so dass die Kinder auch allein zum Kurs und wieder nach hause laufen können. Beim Kaufhaus Jacobs kein Problem: mitten im Dorf, an einer belebten Kreuzung, von überall im Dorf leicht zu erreichen, läuft man am neuen Zuhause der Kulturwerkstatt auch einfach mal vorbei. Auch für die Engagierten ein großer Vorteil: Mal eben die Heizung aufdrehen, die Rollläden hoch fahren oder runter lassen, einspringen für eine(n) andere(n) Ehrenamtliche(n), die/der kurzfristig nicht kann – das alles ist kein Problem, wenn der Weg nicht weit ist.
Und es funktioniert – auf Zuruf, im Team, gemeinsam. Das ist der schönste Effekt, den der Einzug ins eigene Zuhause mit sich gebracht hat: Neue, engagierte, brennende MitstreiterInnen, die nicht lange fragen, sondern handeln – ohne zu Fragen, aber mit Absprache; auf eigene Faust, aber nie im Alleingang; selbständig, aber immer im Gedanken an das große Ganze, jeder nach seinen Möglichkeiten.
„Mamaaaa? Bist Du die Chefin von der Kulturwerkstatt?“ – Nein, Gott-sei-Dank nicht! Denn hier zählt keine Hierarchie, sondern die Gewissheit, gemeinsam zu handeln und sich auf die anderen verlassen zu können. Das Gefühl, dazu zu gehören, MitstreiterInnen, Bekannte, FreundInnen zu haben. Für eine wie mich, die von außen kommt, zugezogen ist und auch noch abgeschieden wohnt ist, das ein Stück Heimat, im besten Sinne.
Und: Der Einzug ins ehemalige Kaufhaus Jacobs hat der Idee der Kulturwerkstatt Flügel verliehen. So ist der Dorfladen von einst heute wieder das, was er einmal war: in unmittelbarer Nachbarschaft ein Ort der Begegnung für jung und alt. Heimat eben.